Spezialisierung in der Pferdezucht

Seit über 20 Jahren propagiert man die Spezialisierung in der Pferdezucht hinsichtlich Springen und Dressur.  Eine derartige Spezialisierung erscheint gerechtfertigt, indem die aus solchen Zuchtrichtungen anfallenden Pferde kaum mit Handicaps für den Freizeitsport belastet sein dürfen. Eine Marktlücke für sogenannte „Freizeitpferde“ dürfte also nicht entstehen.

Großes Vorbild der Spezialisierung war immer schon das Holsteiner Pferd. Bereits in den Satzungen des Verbands der Züchter des Holsteiner Pferdes e.V. findet man die deutliche Ausrichtung der Zucht auf Springen. Aber auch andere Zuchtverbände haben bereits Zuchtprogramme für eine betonte Springleistung umgesetzt:

·      Springpferdeprogramm des Verbands hannoverscher Warmblutzüchter e.V.

·      Springpferdezuchtverband Oldenburg-International e.V.

·      Zuchtbuch Zangersheide

Ergänzt werden diese durch einen Verein innerhalb des Trakehner Verbandes, der sich der spezialisierten Züchtung von Vielseitigkeitspferden widmet. Der Verein agiert unter dem Namen „Nurmi“ und erinnert an das seinerzeit weltbeste Vielseitigkeitspferd anlässlich der Olympiade 1936.

In der Springpferdezucht konnten dadurch deutlich höhere Vererbungswahrscheinlichkeiten erzielt werden (Heritabilitätssteigerung). Die Dressurpferde leiden jedoch erheblich unter dem Verzicht auf Anpaarungen mit dem kraftvollen, leistungsgeprägten Springblut.  Häufig findet man bei Dressurpferden schwache, matte Rücken bei schleppenden, kraftlosen Hinterbeinen.  

Vor einigen Jahren, als der Markt wieder einmal drohte einzubrechen, hat man sich durchgerungen Dressurhengste wie DONNERHALL für die Rasse des Holsteiner Pferdes zuzulassen. Das Ergebnis war keineswegs, dass damit auch der Dressurreiter plötzlich den Holsteiner als Ziel seines Interesses gesehen hätte, sondern vielmehr, dass bei den Nachkommen eine deutliche Verschlechterung der Sprungmerkmale zu verzeichnen war.  Daraufhin hat natürlich der ambitionierte Pferdezüchter der immer schon auf Spezialisierung viel Wert gelegt hat, das gleiche für Dressurmerkmale beim Verwenden von Springblut erwartet.  Selbst die „Obervorderen“ in den Hochzuchtgebieten waren keineswegs erfreut, wenn man in die doch so schön reingezogenen Dressurlinien plötzlich Springblut einkreuzen wollte. Doch hier wurde wie so oft Äpfel mit Birnen verglichen. Oder wie ein weiser Spruch lautet: Nicht alles was gleich aussieht muss auch gleich sein.

Die wissenschaftliche Untersuchung von Lengerken und Schwark aus dem Jahre 2002 hat ganz eindeutig belegt, dass Dressur- und Springleistung negativ miteinander korrelieren. Top-Hengste der Dressur wirken meist negativ auf die Springleistung der Nachkommen. Reitpferdepoints und Fundament werden hingegen deutlich verbessert. Andererseits sind Top-Hengste in der Springleistung in der Lage, alle anderen in das Untersuchungsspektrum einbezogenen Merkmale positiv zu beeinflussen.

Was will man erreichen, wenn man Hengste aus sogenannten Springlinien einsetzt?

Wie bereits vorher erwähnt sind es der starke, tragfähige Rücken, die kräftige Hinterhand bzw. das kräftig abfussende Hinterbein, die Aufwärtsgaloppade, der gut auf- und angesetzte Hals, um nur ein paar Merkmale zu nennen. Abseits von den reinen Exterieurmerkmalen natürlich auch Charaktereigenschaften, Härte und Nerv.

Ausserdem ist die gerade beim Holsteiner Pferd sehr rassetypische Vorhandaktion bei Dressurreitern gern gesehen für Pferde die in der Schweren Klasse, wo Piaffen und Passagen mit viel Vorhandaktion gefordert werden, starten sollen. Aber auch der Galopp bekommt in den höheren Klassen viel mehr an Bedeutung. Allerdings muss man hier eben immer deutlich auf das aktive, kräftige und durchschwingende Hinterbein achten. Die Entwicklung im Dressursport geht allerdings in eine andere Richtung. Als Pferdezüchter stellt man sich öfters die Frage welche Merkmale er selektieren soll. Die Selektion nach bekannten, auf biomechanischen Grundlagen basierenden Merkmalen scheint nicht mehr gefragt zu sein. Der aktuelle Star im internationalem Dressursport Moorlands Totilas, der in seinem Bewegungsablauf weit weg vom gefordertem Beinparalleogramm (Die Röhren der Hinterbeine sollten stets parallel zum Oberarm des diagonal gegenüberliegenden Vorderbeins, die Röhren der Vorderbeine parallel zu den Unterschenkeln sein) welches bei Losgelassenheit und durch den ganzen Körper gehenden Bewegungen zu sehen sein muss, wird gerade in den Trabverstärkungen völlig ausser Acht gelassen. Weit über die Horizontale gewinkelte Vorderbeine bei starr fixiertem Rücken und mäßigem Raumgriff.  Die geforderte Rahmenerweiterung scheint nicht mehr Gültigkeit zu haben und trotzdem werden Höchstnoten vergeben. Dies lässt manchen Züchter schon mal daran denken, Pferderassen einzukreuzen welche besonders für ihre Vorderhandaktion bekannt sind. Selbst in Reinzuchten gibt es bei Züchtern Überlegungen Zuchtversuche mit PREs zu probieren (ehemalig Andalusier genannt) um die Aktion zu verbessern. Etwas provokant müsste man dann als Pferdezüchter allerdings eher die Einkreuzung von Hackneys oder Saddlebreds fordern, denn dort ist das Merkmal der Vorhandaktion deutlich stärker.  Aus tierschutzrelevanten Gründen ist dies auf das heftigste abzulehnen und geht bereits in Richtung Qualzucht. Beim Friesen hatte es bereits immense Auswirkungen gegeben, wo durch die Selektion auf extreme Vorhandaktion die Zunahme von Omarthrosen (Schultergelenkserkrankungen) ähnlich der HD (Hüftdysplasie) beim Schäferhund gegeben. Durch massive Ausschlussselektion von derartigen Merkmalsträgern hat man dies scheinbar wieder in Griff bekommen.

Die Frage die sich hier stellt ist wer die Kehrtwendung einleiten kann. Natürlich ist es der Züchter, der seine Tiere selektiert und den Weg vorgeben kann. Allerdings orientiert sich dieser selbstverständlich auch am Markt, was gefordert wird. Was wird gefordert? Gefordert wird, was gewinnt und Geld bringt. Also jene Pferde, die bei den Veranstaltungen die Schleifen holen. Und hier sind es die Richter die an der Macht sind, sprich am Hebel drehen, wohin die Entwicklung gehen soll.  Hatte man vor drei Jahren noch bei den deutschen Bundeschampionaten in Warendorf den Eindruck, dass sich eine Trendumkehr abzeichnet und die 3-6jährigen Pferde ihrem Ausbildung- und Entwicklungsstand entsprechend vorgestellt werden sollen. So war davon im letzten Jahr bereits wenig davon zu merken. Viele Pferde sind altersmäßig eigentlich gar nicht in der Lage, den extremen Raumgriff zu bringen, der häufig schon dreijährig in einer Reitpferdeprüfung gezeigt wird. Die kann nur zu Lasten der geforderten Losgelassenheit gehen, mit Pferden, die sehr stark in Spannung gebracht werden. Wichtiger als der Raumgriff ist für mich beim jungen Pferd der Takt und der Fleiß, das kraftvolle Abfußen aus einer tätigen Hinterhand. Wir brauchen Bewegungen, die tragen, nicht schieben“, so Holger Schmezer, Bundestrainer in Deutschland.  Christian Pläge, ein bekannter Dressurreiter fourmlierte dies so: „Insbesondere die typischen Materialpferde mit übergroßen Grundgangarten im Trab haben bei gesteigerter Versammlung häufig Probleme, weil sie nicht in der Lage sind, den Raumgriff bei gleich bleibendem Takt, Losgelassenheit und Schwung zu verändern. Die Bewegung wirkt zwar durch den enormen Schub sehr dynamisch, die Umwandlung der Schubkraft in echte Tragkraft fällt diesen Pferden aber oft sehr schwer.“

Und hier schließt sich wieder der Kreis. Den gerade das Springpferd bringt diese Merkmale in seinen Genen mit. Hier wurde in der Selektion weniger auf Schub als auf Tragkraft wertgelegt. Es gibt genug Beispiele wo die Anpaarung von Springpferden an Dressurlinien von Erfolg geprägt war.

Denken wir nur mal an Quando-Quando. Ein Sohn des Quatro B, der selbst bis GrandPrix Erfolge im Springen nachweisen kann. Quando-Quando selbst war unter Kristy Oatley-Nist Teilnehmer der Olympischen Spiele 2008 in Hong Kong und sein Enkel Quaterback hat die beiden letzten Zuchtsaisonen sehr dominiert.

Ein weiteres Beispiel ist der Körsieger der Süddeutschen Körung 2007 Don Diamond. Aus einer Carolus (Holsteiner)- Mutter stammend, wurde der Hengst mit einer dressurbetonten Endnote von 9, 36 Sieger bei seiner 30-Tage-Veranlagungsprüfung.

Um nur ein Beispiel aus dem internationalen Dressursport zu nennen: Unicef Sterntaler jetzt unterm Sattel von Matthias Alexander Rath, der einen Erfolg nach dem anderen erreitet. Dessen Vater Sion, sonst bekannt als Springpferdemacher im Zuchtgebiet Holstein, sich mehrmals mit hochkarätigen Dressurpferden ins Rampenlicht stellte. Unter anderem auf der Mutterseite des legendären Sir Oldenburgs (Körsieger Oldenburg 2000) zu finden, der nach der Auflösung der Hengststation Schlossäcker nach Holland verkauft wurde und jetzt in Schweden im Einsatz ist.

Spezialisierung ist mit Sicherheit ein wichtiger Schritt in der heutigen Leistungspferdezucht und sollte auch gezielt weiterverfolgt werden. Aber man darf sich nicht Dogmen beugen, die sich bei näherer Betrachtung als kontraproduktiv herausstellen. Linienzucht und Konsolidierung in der Pferdezucht sind wertvolle Maßnahmen und Ziele. Die Einzelmerkmale aus dem Auge verlieren wären aber fatale Fehler. Die richtigen Vatertiere für das jeweilige Einzeltier sorfältig auswählen mit dem Ziel ein Sportpferd zu züchten. Das Ziel des Sportpferdezüchters muss immer sein, ein Olympiapferd zu züchten. Denn nur wer sich nach der Decke streckt wird sie auch eventuell einmal erreichen.